Tourette Syndrom

Das Tourette-Syndrom ist mehr als nur „komisches Zucken“ oder ungewollte Geräusche. Es ist eine komplexe neurologische Besonderheit, die sich ganz unterschiedlich zeigen kann und über die es noch viele Missverständnisse gibt. Hier erfährst du, was wirklich dahintersteckt, wer betroffen ist und wie man gut damit leben kann.

Jungen haben häufiger Tourette als Mädchen

2 in 15 Grundschülern erleben Tics

1 in 100 Erwachsenen lebt mit dem Tourette Syndrom

Daten zum Tourette Syndrom

Statistiken machen sichtbar, was oft übersehen wird: Neurodivergenz ist kein Randthema. Hier findest du Daten, die zeigen, wie verbreitet und vielfältig neurodiverse Profile sind.

1%

der Weltbevölkerung hat das Tourette Syndrom

10-15%

aller Grundschüler erleben min. einmal Tics

3 bis 4,5 zu 1

Jungen haben häufiger Tourette als Mädchen

Definition von Tourette

Das Tourette-Syndrom ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, genauer gesagt eine chronische Tic-Störung. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sowohl mehrere motorische Tics (also Bewegungen) als auch mindestens ein vokaler Tic (also Geräusche oder Laute) auftreten. Diese Tics beginnen in der Kindheit – meist vor dem 18. Lebensjahr – und bestehen mindestens über ein Jahr hinweg. Ein Tic ist eine plötzlich einsetzende, sich wiederholende, meist nicht rhythmische Bewegung oder Lautäußerung, die sich kaum kontrollieren lässt. Auch wenn sie auf Außenstehende manchmal wie eine absichtliche Handlung wirken, sind sie unwillkürlich. Die Erkrankung ist schon lange bekannt: Bereits im Jahr 1827 wurde sie erstmals in der medizinischen Literatur beschrieben.

Andere Bezeichnungen

Wer ist betroffen?

Komorbiditäten

Tics beginnen typischerweise im Grundschulalter; meist zwischen dem 6. und 8. Lebensjahr. In selteneren Fällen können sie auch schon vor dem vierten Lebensjahr auftreten. Bei über 93 % der Betroffenen zeigen sich die ersten Anzeichen vor dem elften Lebensjahr, bei 99 % vor dem fünfzehnten. Die Symptome verändern sich oft im Verlauf der Kindheit und Jugend und können in ihrer Ausprägung schwanken.

Das Tourette-Syndrom ist auch unter anderen Namen bekannt. In medizinischen Fachtexten wird häufig vom „Gilles-de-la-Tourette-Syndrom“ gesprochen, benannt nach dem französischen Arzt Georges Gilles de la Tourette, der die Erkrankung im Jahr 1885 erstmals ausführlich beschrieb. Oft wird auch die kürzere Bezeichnung „Tourette-Syndrom“ verwendet. Im englischen Sprachraum und in einigen Fachkreisen ist zudem die Abkürzung „TS“ gebräuchlich.

Viele Menschen mit Tourette-Syndrom haben zusätzlich mit weiteren psychischen oder neurologischen Herausforderungen zu tun. Dazu gehören unter anderem ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und Zwangsstörungen (OCD). Auch Störungen des Sozialverhaltens, oppositionelles Verhalten, Lernstörungen, Angststörungen, Depressionen, Schlafprobleme oder selbstverletzendes Verhalten können als Begleiterkrankungen auftreten. Diese zusätzlichen Belastungen beeinflussen sden Alltag oft stärker als die Tics selbst.

Weitere Besonderheiten

Viele Menschen mit Tourette-Syndrom berichten von sogenannten „Vorgefühlen“ (Premonitory Sensations) vor einem Tic; zum Beispiel ein Jucken, Ziehen oder Druckgefühl. Der Tic wirkt dann wie eine Erleichterung. Unterdrücken der Tics ist in manchen Situationen möglich, z. B. in der Schule. Das kostet aber oft viel Energie und führt später zu einer Art „Nachholen“. Tic-Attacken sind plötzliche Phasen, in denen sehr viele Tics in kurzer Zeit auftreten. Diese können Minuten bis Stunden andauern und sind besonders belastend.

Vokale Tics

Vokale Tics betreffen Laute oder Sprache. Einfache vokale Tics sind z. B. Hüsteln, Räuspern, Schniefen oder andere Geräusche. Komplexe vokale Tics umfassen z. B. das Wiederholen von Worten oder Silben (Echolalie), das Imitieren von Lauten oder – seltener – das Aussprechen von Schimpfwörtern oder obszönen Ausdrücken (Koprolalie). Letzteres betrifft nur einen kleinen Teil der Betroffenen, wird aber in Medien oft überbetont.

Motorische Tics

Motorische Tics sind unwillkürliche Bewegungen. Zu den einfachen Tics zählen z. B. Augenblinzeln, Grimassieren, Naserümpfen, Kopfrucken oder Schulterzucken.Komplexe motorische Tics sind auffälliger und bestehen aus mehreren Bewegungsabfolgen. Dazu gehören z. B. Springen, Hüpfen, Drehungen, das Nachahmen von Bewegungen anderer oder auch obszöne Gesten.

Symptome

Das Tourette-Syndrom äußert sich durch verschiedene Tics – das sind unwillkürliche, plötzliche Bewegungen oder Lautäußerungen. Wie genau sich diese Tics zeigen, ist von Person zu Person verschieden. Manche Tics sind kaum auffällig, andere können für die Betroffenen oder das Umfeld belastend sein. Oft kommen mehrere Tics gleichzeitig vor, und sie verändern sich im Laufe der Zeit. Wichtig zu wissen: Tics sind nicht „absichtlich“ und lassen sich meist nur kurzfristig unterdrücken – was jedoch zu einem inneren Spannungsaufbau führen kann.

Ablauf der Diagnose

Die Diagnose wird gestellt, wenn motorische und vokale Tics über mindestens ein Jahr hinweg auftreten – und sich vor dem 18. Lebensjahr entwickelt haben. Wichtig ist, dass die Tics unwillkürlich, schnell und nicht rhythmisch sind. Die Diagnose erfolgt durch erfahrene Fachärztinnen oder Fachärzte, meist aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Neurologie. Es werden genaue Beobachtungen, Gespräche mit Betroffenen und Angehörigen sowie manchmal Videoanalysen genutzt, um die Tics zu dokumentieren und andere Ursachen auszuschließen.

Bestätigung und Unterstützung

Oft ist es hilfreich, den Tics nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Je mehr Ruhe und Akzeptanz eine Umgebung bietet, desto weniger Stress entsteht – und Stress verstärkt Tics meist. Eltern, Lehrer*innen und andere Bezugspersonen können hier viel bewirken, indem sie die Kinder ernst nehmen und gleichzeitig das Selbstvertrauen stärken.

Verhaltenstherapie

Es gibt spezielle Verhaltenstherapien, die helfen können, die Kontrolle über Tics zu verbessern. Besonders bekannt ist das „Habit-Reversal-Training“ (Gewohnheitsumkehr-Training), bei dem Betroffene alternative Bewegungen lernen, die helfen, einem Tic vorzubeugen. Ein weiteres Verfahren ist die „Umfassende Verhaltensintervention bei Tic-Störungen“ (CBIT) – besonders wirksam bei älteren Kindern und Jugendlichen. Auch Aufklärung über die eigenen Tics und der Umgang mit Stress sind wichtige Bestandteile einer unterstützenden Therapie.

Medikamente

Medikamente kommen nur zum Einsatz, wenn die Tics sehr stark ausgeprägt sind oder die Person dadurch stark belastet ist. Bei leichten Tics können Wirkstoffe wie Clonidin oder Guanfacin helfen. Bei schwereren Verläufen werden manchmal Antipsychotika eingesetzt – das wird aber immer sehr sorgfältig abgewogen und unter fachärztlicher Begleitung entschieden.

Therapie

Nicht jeder Mensch mit Tourette-Syndrom braucht eine Therapie – oft genügt es schon, die Besonderheiten zu kennen, zu verstehen und gut mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen können jedoch zusätzliche Maßnahmen helfen: zum Beispiel, wenn die Tics sehr belastend sind oder das Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Auch Begleiterkrankungen wie ADHS oder Ängste können therapeutisch unterstützt werden. Wichtig ist: Jede Therapie wird, je nachdem was gebraucht wird,individuell angepasst.

ABER!

Ein Tourette-Syndrom zu haben bedeutet nicht, dass man krank ist. Eine Therapie dient nicht dazu, die Tics „wegzumachen“, sondern kann helfen, besser mit ihnen umzugehen. Auch nur, wenn man das selbst möchte.